Von Christian Schneider-Sickert, CEO des digitalen Vermögensverwalters Liqid
Scalable, Ginmon, Liqid & Co. werden also von der Entwicklung, die sie selbst angestoßen haben, überrollt werden und sie (…) in der Versenkung verschwinden. Ihnen wird lediglich die allgemeine Anerkennung für die Pionierarbeit verbleiben – und die Hoffnung darauf, übernommen zu werden. Friedrich-W. Kersting auf finletter.de, 2. November 2017
In einem finletter-Beitrag wurde kürzlich das Ende der Robo-Advisor-Ära eingeläutet. Die Begründung: Die großen Banken könnten in Zukunft problemlos sämtliche Innovationen der digitalen Anbieter übernehmen und in ihre eigenen Prozesse integrieren – und damit den heute erfolgreich operierenden digitalen Vermögensverwaltern (früher Robos) wie Liqid die Existenzgrundlage entziehen. Als Beispiel aus der Vergangenheit wird die Einführung des Banking-Terminals durch die Verbraucherbank in den siebziger Jahren angeführt. Nachdem sich dessen Überlegenheit herausgestellt hatte, zogen die anderen Banken einfach nach. Damit war der Innovationsvorsprung der Verbraucherbank in kürzester Zeit zunichte gemacht und das Institut versank in der Bedeutungslosigkeit.
Das Beispiel verdeutlicht den Denkfehler seines Beitrags: Er reduziert die Innovation auf die technische Komponente und ignoriert damit schlicht einige der wichtigsten Aspekte der digitalen Vermögensverwaltung. Der Wichtigste zuerst: Seriöse, regulierte, digitale Anbieter haben eine fundamental andere Beziehung zu ihren Kunden als Banken: Sie agieren unabhängig von Produktanbietern, denn sie sind gesetzlich verpflichtet, ihre Entscheidungen nur im Interesse ihrer Kunden zu treffen. Versteckte Gebühren oder Provisionen gibt es bei ihnen nicht. Sie werden ausschließlich von ihren Kunden bezahlt und schulden damit nur ihnen Rechenschaft.
Banken dagegen sind auf die Erträge angewiesen, die sie durch den Vertrieb teurer eigener Produkte oder von Fremdanbietern, für die sie hohe Provisionen bekommen, erzielen. Gestalten sie ihre digitalen Angebote wirklich attraktiv, ruinieren sie damit ihr Bestandsgeschäft. Und das werden sie niemals riskieren. Ihre (angeblich so gute) persönliche Beratung setzen sie gerne als Totschlagargument gegenüber digitalen Angeboten ein. Doch faktisch sitzt am Beratungstisch allzu oft nur ein mit Halbwissen ausgestatteter Empfänger von Vertriebsvorgaben.
Banken können so einiges nicht leisten
Die digitale Kundenbetreuung kann zwar nicht in jeder Hinsicht das persönliche Gespräch ersetzen, kann aber eine konsistente Beratungsqualität gewährleisten – wo diese gewünscht ist. Das Beispiel Liqid zeigt, dass sich digitale und persönliche Betreuung durchaus kombinieren lassen und dass viele Kunden gerade deshalb digitale Anbieter wählen, weil sie diese Art der hybriden Betreuung vorziehen.
Die besten digitalen Vermögensverwalter nehmen über die gesamte Prozesskette Innovationen vor – von der Akquise bis zur laufenden Betreuung. So verfügen Banken aktuell zweifellos über ungleich mehr Bestandskunden als ihre digitalen Wettbewerber. Sie sind aber nicht in der Lage, neue und vor allem junge Kunden auf zeitgemäße und kostengünstige Art zu gewinnen. Denn das setzt fundamental andere kreative Ansätze im Marketing voraus.
Ähnlich ist es bei der laufenden Betreuung: Während etablierte Anbieter ihren Kunden im Regelfall lediglich eine halbwegs übersichtliche Aufstellung über die Entwicklung ihres Vermögens zur Verfügung stellen, sind digitale Anbieter in der Lage, eine auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Kunden zugeschnittene personalisierte Kundenkommunikation zu betreiben. Dies erfordert neben effizienten IT-Systemen auch Kompetenzen im Bereich Business Intelligence, über die viele Großbanken nicht verfügen.
Neu denken von A bis Z
Kommen wir abschließend zum immer wichtiger werdenden Thema der Gewinnung von Talenten: Zwar bieten Banken Sicherheit und Stabilität. Doch gerade den anspruchsvollsten und leistungsstärksten Talenten bieten sie selten die Kombination von intellektueller Herausforderung, Gestaltungsfreiheit und einem zeitgemäßen Arbeitsumfeld, wie es die besten innovativen Anbieter für ihre Teams schaffen. Im Ergebnis bleibt den Etablierten nur das Trostpflaster höherer Gehälter. Die Folge: Die Entwicklungskosten für die bislang eher mäßigen digitalen Angebote einiger Großbanken sind gigantisch.
Sollten sie die Innovationen, die von den besten Fintechs in der digitalen Vermögensverwaltung vorangetrieben werden, als jederzeit replizierbar abtun, würden die Banken ihre neuen Herausforderer in einem geradezu fahrlässigen Ausmaß unterschätzen. Denn im Fokus dieser Anbieter steht vor allem ein Anspruch: die gesamte Kundenerfahrung – und damit die gesamte Prozesskette – in der Geldanlage von A bis Z neu zu durchdenken.
Und um das Hauptargument in dem eingangs erwähnten Beitrag noch einmal aufzugreifen: Selbst die rein technischen Innovationen der digitalen Anbieter werden die Banken nicht einfach kopieren können wie damals die Banking-Terminals. Denn ihre IT-Systeme stammen zu großen Teilen noch aus den neunziger Jahren und lassen sich nicht im Handumdrehen aufrüsten. Sie werden hier nicht darum herumkommen, völlig neue Systeme zu installieren. Doch ihre digitalen Konkurrenten werden sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und ihren technischen Vorsprung weiter ausbauen.