Eine regulatorische Sandkiste bedeutet, einen günstigen aufsichtsrechtlichen Rahmen für die Entwicklung neuartiger Finanzprodukte und Dienstleitungen zu schaffen – und das vor allem digital. In der digitalen Produktentwicklung ist es üblich, durch Ausprobieren zu lernen – Trial and Error, wie man so schön sagt.
Der Clou der Sandkiste ist: Wenn man mit aufsichtsrechtlichem Sachverstand bei jedem Versuch genau hinschaut, wie die Risiken für die Verbraucher verteilt sind, dann braucht man nicht mit der ganz großen regulatorischen Keule zuschlagen. Schon aus einigen hundert Transaktionen kann nämlich ein Fintech wahnsinnig viel lernen. Dabei wird nicht gleich der Verbraucherschutz die Toilette hinunter gespült oder die Finanzmarktstabilität ins Wanken gebracht, wie manche scheinbar fürchten.
Für die Gegner der Sandkiste ist dieses Ausprobieren eine fremde und nicht nachvollziehbare Herangehensweise. Doch in Zeiten digitaler Produkte kommen wir mit Forschung aus dem Elfenbeinturm mit dem x-ten Forschungsrahmenprogramm einfach nicht weiter. Gerade für Fintech gilt: Die Innovationen werden in der Praxis gemacht, in der Interaktion mit den Kunden.
Finanzaufsicht und Politik zeigten sich in der Vergangenheit immer wieder kritisch gegenüber einer Sandkiste – zuletzt tat dies Jens Spahn bei der Vorstellung der Fintech-Studie des Finanzministeriums. Erstaunlicherweise finden sich unter den Gegnern auch Start-ups. Vermutlich möchten letztere nicht verniedlicht werden. Was dabei allerdings gerne vergessen wird: Eine regulatorische Sandkiste ist nicht nur was für Start-ups. Die erste Kohorte der Sandkiste im Vereinigten Königreich beispielsweise hat gerade gezeigt, dass auch große Banken ihre Vorteile zu nutzen wissen, unter anderem HSBC und die Bankengruppe Lloyds hatten sich hierfür beworben und wurden angenommen.
Die Gründer der 433 Fintechs, die in der Studie des Finanzministeriums gezählt wurden, mussten ohne Sandkiste auskommen. Natürlich ging das auch. Aber mit einer Sandkiste hätten wir vielleicht viel mehr Fintechs. Auf jeden Fall wären die 433 Unternehmen schneller und günstiger dahin gekommen, wo sie jetzt sind.
Günstig und schnell sind durchaus Attribute, die einen attraktiven Finanzplatz ausmachen. Und auch das ist nicht nur ein Argument für Start-ups: Die Innovationsabteilungen der Banken und Versicherungen mögen zwar grundsätzlich eher Geld für Versuche zur Verfügung haben, doch mit einer Sandkiste könnten auch sie mehr experimentieren und damit bessere Produkte schaffen.
Die großen Profiteure einer deutschen Sandkiste wären die Gründer der Zukunft. Das Problem ist allerdings, dass diese politisch nicht organisiert sind: Sie kennen sich untereinander nicht, sind nicht in gemeinsamen Verbänden, weil sie vielleicht noch gar nicht wissen, dass ihr nächstes Abenteuer die Gründung eines Fintechs sein wird. Politische Einflussnahme ist aus dieser Richtung also nicht zu erwarten.
Der Sandkisten-Boom
Warum entstehen also rund um den Globus gerade jede Menge regulatorische Sandkisten, von USA bis Hongkong, von UK bis Singapur? Dort ist die nächste Gründergeneration genauso wenig organisiert wie hier. Vermutlich ist der entscheidende Unterschied das Branchenselbstverständnis der Finanzwirtschaft. Im deutschen Verständnis der Finanzwirtschaft hat sie für die Realwirtschaft da zu sein, als Zulieferindustrie sozusagen.
Vor diesem Hintergrund, und angesichts des schlechten Images der Finanzbranche, ist es nicht verwunderlich, dass die Politik nur passiv reagiert. Politiker bekommen sicherlich gerade mehr Stimmen für eine strengere Regulierung als für Bemühungen um einen innovativen Finanzstandort. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es uns an einer globalen Perspektive und einer entsprechenden Vision fehlt.
Wir stehen am Anfang der Digitalisierung der Finanzwirtschaft und haben die einmalige Chance, diese Branche zu einem eigenständigen Wirtschaftszweig zu machen – von globaler Bedeutung. Ich fürchte, wir werden sie ungenutzt lassen.