Für die aktuelle GOLDILOCKS-Ausgaben zur Generation Z haben wir mit Prof. Dr. Isabell M. Welpe gesprochen. Welpe ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre – Strategie und Organisation an der TU München. Ein Interview über Technologien und Trends in der Finanzwirtschaft, die durch die Gen Z getrieben werden.
Clas Beese für GOLDILOCKS: Frau Welpe, in der aktuellen GOLDILOCKS-Ausgabe beschäftigen wir uns mit der Generation Z im Kontext des digitalen Strukturwandels in der Finanzwirtschaft. Einer Ihrer Schwerpunkte ist das Machine Learning – hat diese Technologie bereits einen Einfluss darauf, wie die Generation Z Banking betreibt? Wie gehen die heutigen Teenies und jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 damit um?
Isabell Welpe: Zurzeit konvergieren unterschiedliche technologische Entwicklungen. Zum Einen geht es wieder weg von einer Plattformökonomie, die durch zentrale Player wie Google, Facebook, Apple, also die GAFAs dieser Welt, dominiert wird, hin zu einer Dezentralisierung, in der nicht ein einzelner Akteur alle Daten hat und allein darüber entscheidet. Die zweite Entwicklung umfasst alles, was mit Quantum Computing, Rechenkapazität und Machine Learning zu tun hat. Für Unternehmen und Kunden – und somit auch für die Gen Z – sind diese Entwicklungen insofern wichtig, weil durch sie neue und bessere Möglichkeiten entstehen, die Bedürfnisse jeder einzelnen Kund*in besser zu erfüllen als zuvor oder als es die Konkurrenz tut.
Goldilocks: Was bedeutet das für Banken und Sparkassen?
Isabell Welpe: Dass man sich damit auseinandersetzen muss. Denn jede Kund*in hat ihre Pain Points mit ihren Unternehmen und natürlich auch auch mit ihren Banken. Und genau an diesen Pain Points liegen die Umsätze, also der Cash Flow. Wenn ich diese Pain Points adressiere, kann ich schlicht mehr Geld verdienen. Die Gen Z wird dahin gehen, wo ihren Pain Points begegnet wird – das gilt im Übrigen auch für alle anderen Generationen.
Goldilocks: Wo liegen die Pain Points der Gen Z im Banking?
Isabell Welpe: Das ist hinreichend bekannt. Ich würde zum Beispiel die starren Öffnungszeiten nennen. Jemand, der jung ist, kann nicht mehr nachvollziehen, warum sie oder er am Samstag nichts mehr tun kann mit der Bank. Da kommen Fragen auf: Warum kann ich nicht mit Wertpapieren handeln, warum kann ich kein Geld überweisen? Das ist völlig aus der Zeit gefallen. Alles, was starr ist und eine Einschränkung des Zugangs bedeutet, was überproportionale Gebühren für Leistungen erzeugt, die dann auch noch langsam sind, trifft auf Befremden. Und alle neuen Anbieter, die es da so gibt, ob es Fintechs oder Neo-Banks oder dann demnächst die ganzen Blockchain getriebenen Applikationen sind, adressieren genau diese Pain Points. Dafür sind Kund*innen dankbar. Den etablierten Finanzunternehmen wird das aber eine Menge Herausforderungen bereiten.
Goldilocks: Für die unter 18-Jährigen aus der Gen Z ist ja ein großer Pain Point, dass sie nicht online bezahlen können. Die meisten Teenies, auch bei den Sparkassen und Volksbanken, haben ein Konto mit Girocard ohne Mastercard/Debitcard-Ausstattung, die online nicht zu benutzen ist. Die erste Generation der Teenie-Banken bedient nun genau diesen Pain Point, ohne dass dabei eine technologische Sensation dahinter steckt. Was erwartet uns hier in Bezug auf die oben genannten technologischen Entwicklungen, zum Beispiel in Bezug auf das Bezahlen?
Isabell Welpe: Beim Bezahlen kam der Sprung durch Papypal, wo statt einer IBAN einfach eine E-Mail-Adresse für Onlinezahlungen verwendet wird. Eine simple Idee, die ein direktes Kundenbedürfnis adressiert, die aus Sicht der Banken und Sparkassen aber eben leider jemand anderes hatte. Und so wird es auch in Zukunft sein, dass simple Ideen von anderen kommen, wenn die deutsche Wirtschaft ihre Organisationen nicht so umbaut, dass sie immer vom Kundenbedürfnis her denken. Deutschland denkt von der Technologie her und vielleicht noch vom Produkt. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß. Das attraktivste Produkt ist immer dasjenige, das mein Problem hier und jetzt und möglichst unaufwändig löst. Darum geht es in der Autoindustrie und eben auch in der Finanzindustrie.
Goldilocks: Wie könnte man es denn einfach anders machen?
Isabell Welpe: Ein Beispiel: Eric Yuan, der CEO von Zoom, hat lange Zeit jede einzelne Kund*in persönlich angerufen, die gekündigt hat, um zu verstehen, warum. So wollte er Zoom zum besten Produkt für Video-Calls machen, was ja auch gelungen ist. Die Frage „Wisst ihr eigentlich, warum Kunden gehen?“ sollte man jedem Vorstand stellen.
Goldilocks: Wie könnte Machine Learning dabei helfen?
Isabell Welpe: Alles geht da hin, dass ich kein Standardprodukt mehr habe, sondern nach dem Motto „What you get is what you need“ verfahren wird. Dazu braucht man aber jede Menge Daten, weil ich nicht voraussehen kann, was der Kunde morgen will, wenn ich nicht große Mengen Daten von ihm habe. Auch das ist wieder ein deutsches Problem, weil Datenschutzstandards und Kultur hier nicht reinpassen. Banken haben ja aber jede Menge Daten und müssten sie nur vernünftig auswerten. Google und Facebook machen es, Banken und Sparkassen machen es nicht. Natürlich spielt hier auch die Regulierung eine Rolle, aber es ist eben auch ein Problem der Kultur. Der Trend geht dahin, vorherzusagen, was meinen Kund*innen persönlich gefallen wird und was sie brauchen werden. Hier kommen Algorithmen ins Spiel und dadurch auch Machine-Learning-Technologien, weil sie helfen, aus meinen Daten maßgeschneiderte und damit unwiderstehliche Angebote zu machen. Und da Blockchain Pseudonymisierung erlaubt, wird hier auch diese Technologie interessant. So würde ein kluges Datenrechtemanagement möglich und die Kund*in wäre eben nicht mehr gläsern. Ein zukünftig erfolgreicher Player im Banking wird Datensouveränität einführen. Man darf nicht vergessen, dass die Kunden ja Daten teilen wollen, um maßgeschneiderte Angebote zu bekommen. Was sie aber nicht wollen, ist, dass diese Daten dann irgendwo in Kaliforniern lebenslang gespeichert werden. Die Zentraldatenmodelle werden also von Angeboten abgelöst, die Kund*innen die Kontrolle zurückgeben.
Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe von GOLDILOCKS, dem gemeinsamen App-Magazin von finletter und dem Sparkassen Innovation Hub. Mehr erfahren.
Goldilocks: Jetzt braucht es für dieses Modell die Daten, die Technologie sie auswerten zu können und für die Kommerzialisierung auch den Kundenzugang – wer wird diese drei Dinge am ehesten zusammenbringen können?
Isabell Welpe: Den besten Zugang haben natürlich die Anbieter von Betriebssystemen, weil hier die Software-Hardware-Schnittstellen liegen. Da ist Europa in allen Bereichen hinten dran. Die Aufgabe müsste sein: Ich entwickle den Hardware-Nachfolger des Smartphones und sichere mir so die Möglichkeit, meine eigene Software durchzudrücken. Solange dieser Zugang nicht besteht, bleibt nur die Möglichkeit, mit Apps zu arbeiten. Die aber wiederum müssen so gut sein, dass sie Kunden in Massen überzeugen. Dafür müsste die ganze Ausrichtung zunächst mal auf den Kunden erfolgen. Ohne Customer Centricity wird das nicht funktionieren und davon sind deutsche Unternehmen meilenweit entfernt. Jede Frage, die sich in einem Unternehmen stellt, müsste dafür mit der Gegenfrage „Macht das die Kunden zufriedener?“ beantwortet werden. Genau da liegen die Umsätze.
Goldilocks: Warum agieren Unternehmen nicht kundenzentriert und verspielen damit zum Beispiel den Zugang zur Gen Z? Welche Muster liegen dahinter?
Isabell Welpe: Diese Frage muss man sich in der Tat stellen. Vielleicht fehlt es auf Vorstandsebene an Mut und Interesse daran, die Firma zu retten. Auf einem solchen Posten will man vielleicht eher, dass nichts schiefgeht. Anders kann ich es mir nicht mehr erklären. Die Erfolgsfaktoren haben sich im Vergleich zu vor 15 Jahren komplett umgedreht, da sind sehr viele nicht mitgekommen. Aus meiner Sicht läuft man hier sehend in ein Riesenproblem herein. Man müsste auf Vorstandsebene viel stärker in kognitiv diverseren Teams und in Netzwerken arbeiten, um den Turnaround zu schaffen. Die Affinität zur heutigen Leitindustrie, der Informationstechnologie, fehlt einfach vielerorts. Eine offene Kultur, die auch Leuten zuhört, die zunächst verrückt klingende Ideen haben, wäre in jedem Fall hilfreich. Die Symbioticon der Sparkassen-Finanzgruppe ist hierfür ein gutes Beispiel – bei dieser Veranstaltung mit ihrem Hackathon-Ideenwettbewerb wird die Hand deutlich ausgestreckt.
Goldilocks: Zurück zur Gen Z: Bringt uns diese Generation zwangsläufig eine andere Sichtweise? Sind das die gewünschten „Systembrecher“?
Isabell Welpe: Aus meiner Sicht auf die Studien zu dem Thema lässt der Faktor Alter allein, also eine Generationenzugehörigkeit, hierzu keine Schlüsse zu. Eine Gesellschaft ändert sich eher generationenübergreifend und in jeder Kohorte finden sich solche und solche. Bei der Gen Z bzw. der jeweils jüngsten Generation fallen Änderungen nur mehr auf, weil noch so viele große Entscheidungen zu treffen sind: zu Karrierewegen, zu Kundenbindungen, zu Markenloyalitäten und eben auch, bei welcher Bank Konten geführt werden. Deswegen achtet man mehr darauf, was diese Generation bewegt und wie man sie erreichen kann. Es sind eben die Trendsetter von morgen. Auf was wir uns aber mit der Gen Z zubewegen, ist die Creator Economy. Und hier kommt die Blockhain-Technologie wieder ins Spiel, weil damit die Intermediäre umgangen werden und Creator zum Beispiel direkt bezahlt werden können. Mit dem jüngsten Trend der Non-Fungible Tokens, also des Handels mit digitaler Kunst oder sogar Tweets, zeigt, dass wir in eine Phase eintreten, wo jeder seine Schöpfungen – Kunst, ein Buch, eine Präsentation – zur Verfügung stellen und auch zu Geld machen kann. Dafür braucht es wiederum Finanzdienstleister, die das unterstützen und Transaktionen ermöglichen. Auch hier werden diejenigen gewinnen, die die Pain Points adressieren. Hoffentlich dann aber über dezentrale Netzwerke.
Goldilocks: Wer wird diese dezentralen Netzwerke treiben?
Isabell Welpe: Bei Bitcoin weiß man zum Beispiel gar nicht, wer wirklich dahinter steckt. Wer ist Satoshi Nakamoto? Am Ende sind es natürlich Informatiker, die diese Entwicklungen antreiben. Die Nachfrage wird aber ausschlaggebend sein. Digitalisierung wird hier insofern auch Demokratisierung bedeuten, weil sich alle vernetzen können. Dadurch entsteht Schwarmintelligenz, aber auch Schwarmdummheit – damit werden wir umzugehen lernen müssen. Das Thema Gamestop hat es jüngst verdeutlicht: Informationen sind freier zugänglich und entgleiten der Kontrolle von Unternehmen. Als Kund*in lieben wir das, als Mitarbeiter*in eines Unternehmens stresst es uns. Und als Unternehmen muss ich mich fragen: Wo bricht uns Wertschöpfung weg, weil Informationen freier zugänglich werden?
Goldilocks: Wie lautet Ihre oberste Handlungsempfehlung an etablierte Banken und Sparkassen?
Isabell Welpe: Über allem steht für mich die Ausrichtung auf den Kunden und seine Pain Points. Als Slogan verpackt: Don’t make products for anybody, make products for somebody. Dadurch lenken wir die genannte Nachfrage, auch in der Gen Z. Dafür müssen die eigenen Organisationen allerdings komplett neu ausgerichtet werden. Hierfür habe ich allerdings den Hinweis: New Work ist kein Selbstzweck, sondern sollte immer dem Ziel der Customer Centricity dienen. Und was ich zuletzt im Bereich der Autoindustrie erlebt habe: Es motiviert ungemein, sich als Unternehmen einen Feind zu suchen, der nicht zwingend ein Konkurrent sein muss. Um ans Ziel zu kommen, sollte man also nicht Tesla bekämpfen, sondern Umweltverschmutzung. Oder übertragen auf die Finanzindustrie: Nicht das erfolgreiche Fintech oder die Neo-Bank oder das Big Tech ist der Feind, sondern die fehlende Intransparenz und Flexibilität durch die Bankenbürokratie.