Der Beirat junge Digitale Wirtschaft und die Pressefreiheit
Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft hat in dieser Woche mit einem bereits im April veröffentlichten Positionspapier für turbulente Tage in der Start-up-Szene gesorgt. Darin forderte das Gremium, das das Wirtschaftsministerium in Digitalfragen beraten soll, unter anderem die „Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information“ bei der Berichterstattung über Börsengänge. (Das inzwischen zurückgezogene Positionspapier kann hier in voller Länge nachgelesen werden.) Dem „Handelsblatt“ zufolge habe das Gremium um Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Staat dazu aufgerufen, für eine „ausgewogene Berichterstattung“ zu sorgen.
Nach der Veröffentlichung distanzierte sich der Wirtschaftsminister vom Papier des Beirats. Es folgten die beiden Vorsitzenden Christian Vollmann und Miriam Wohlfarth, sowie die Mitunterzeichnenden Lea-Sophie Cramer und Alex von Falkenberg. Der wohl als federführend identifizierte Verfasser Christoph Gerlinger ist inzwischen aus dem Beirat zurückgetreten. Er war es auch, der sich vor der Veröffentlichung beim „Handelsblatt“ gemeldet und um selbige gebeten hatte.
Die Diskussion zeigt ein Spannungsfeld zwischen der Start-up-Szene und dem Journalismus hierzulande. Zudem steht die Frage im Raum, wie Gründerinnen zu der in Artikel fünf des Grundgesetzes festgeschriebenen Pressefreiheit stehen. Einige Positionen:
- Jannis Johannmeier von der PR-Agentur The Trailblazers akzeptiert die Begründung nicht, es habe sich bei dem Papier um eine „Arbeitsversion“ gehandelt, von der keiner im Rat außer Gerlinger gewusst habe. Er nennt das Vorgehen einen „kalkulierten Regelbruch“. Schließlich sei das Positionspapier, das „von einer Geisteshaltung zeugt, die in der Start-up-Welt nichts zu suchen hat“, zwei Monate öffentlich zugänglich gewesen. „Die Mitglieder des Beirats hätten also mehr als genug Zeit gehabt, zu bemerken, was sie da geschrieben haben“, so sein Urteil. Entschuldigungen würde da nicht reichen, er fordert den Rücktritt aller Mitglieder.
- Lars-Thorben Niggehoff vom Magazin „Startbase“ nennt das Positionspapier in seinem Kommentar einen „verbalen Griff ins Klo“. Viele Gründerinnen müssten nun gegen den Vorwurf kämpfen, „dass es die Digitalbranche mit der Pressefreiheit nicht so genau nimmt“. Jedes Start-up habe eine faire und wahre journalistische Berichterstattung verdient, so der Autor weiter, doch die „finstere Autokratenrhetorik“ führe nur zu einem Schaden für alle Start-ups. Niggehoff erinnert: „Die letzten Unternehmer, die in Deutschland so unverfroren gegen Journalisten schossen, war die Wirecard-Vorstandsetage.“
- Jochen Siegert von Deutsche Bank/„Payment & Banking“ findet bei „Gründerszene“ eine Erklärung für das Verhalten. Er sagt: „Kritik tut immer weh. Aber wenn du Gründer bist, spielt gleich alles noch mal eine viel größere Rolle.“ Weil es ums Geld gehe, würden die Nerven auch schneller blank liegen. Eine Begründung für einen Eingriff in die Pressefreiheit sei das aber trotzdem nicht. Journalistinnen seien „keine Hofberichterstatter“.
- Ebenfalls bei „Gründerszene“ kritisiert Berater Philipp Klöckner die Distanzierung des Beirats. Er hält es für fahrlässig, dass derartiges Gedankengut durch Stillschweigen und Desinteresse möglich gemacht werde. Vor allem die Autorinnen könnten sich nicht mit Unwissenheit aus der Affäre ziehen. Siegert ergänzt: „Da waren einige vielleicht zu stolz, im Dunstkreis dieses Gremiums zu sein, aber haben ihren Job nicht gemacht.“
- Start-up-Investor Frank Thelen kritisiert im Interview mit dem „Handelsblatt“ zwar das Positionspapier und nennt es „hundert Prozent daneben“. Gleichzeitig warnt er aber auch vor überwiegend negativer Berichterstattung auf der Grundlage besserer Klickzahlen und attestiert Journalistinnen mangelnde Kompetenzen und unzureichendes Verständnis in der Start-up-Berichterstattung. Die FDP-Digitalpolitikerin twittert das Interview mit den Worten: „Nach diesem Interview frage ich mich wirklich, was am Konzept Pressefreiheit so schwer verständlich ist.“
- Niklas Wirminghaus von „Capital“ untersucht in einem Kommentar das Feindbild Journalismus und sieht in den Entschuldigungen „ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Presse“. „Man kann das als Missverständnis redaktioneller Mechanismen abtun, es ist aber gut möglich, dass hier sich nur etwas herausschält, was in der Tech-Welt durchaus verbreitet ist – nämlich ein Unbehagen mit demokratischen Prinzipien“, schreibt er mit Blick auf antidemokratische Tendenzen der Tech-Elite in den USA. Sein Appell: „Kritische Presse hat ihren Sinn und ihre Berechtigung – deal with it!“
handelsblatt.com, handelsblatt.com
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