Ist die Fintech-Revolution vorbei? Zu dieser Frage gab es in letzter Zeit einige Beiträge mit unterschiedlichen Antworten zu lesen, unter anderem hier bei finletter: „Hört auf, an die Fintech-Revolution zu glauben“.
Dabei wurde die Frage ziemlich eng mit B2C-Fintech-Start-ups gekoppelt diskutiert, die einstmals mit dem Anspruch angetreten sind, die Banken an der Kundenschnittstelle abzulösen. Und tatsächlich scheint hier die Revolution zumindest auf den ersten Blick abgeblasen. Kaum einem Fintech ist es bisher gelungen, auch nur ansatzweise ein Banken-Killer zu werden. Die vergleichsweise großen Fintechs, etwa N26, Deposit Solutions oder Smava, haben sich zwar zu mittleren Banken-Konkurrenten entwickelt, haben aber bisher nicht die Finanzbranche umgekrempelt. Die meisten „Frontend-Fintechs“ sind Kooperationen mit Banken eingegangen oder sind dabei, dies zu tun.
Die Fintech-Revolution wird nicht am Frontend entschieden
Man sollte Fintech jedoch nicht nur vom Frontend aus betrachten, sondern insgesamt als technologiegetriebene Entwicklung, die den Finanzsektor revolutioniert. So gesehen bleibt Fintech äußerst lebendig. Sehr wahrscheinlich wird die Finanzbranche in fünf Jahren anders aussehen und sich anders anfühlen als heute. Aus Kundensicht werden Anlegen, Sparen und der Vermögensaufbau insgesamt, einfacher, effizienter und kostengünstiger funktionieren, Bezahlen wird zum Hintergrundprozess. Sehr viel mehr Menschen werden einfacher Kredite bekommen, Finanzprozesse werden sich tiefer in Lebens- und Geschäftskontexte einbetten. Oder wie Christian Nagel vom Wagniskapitalgeber Earlybird es kürzlich auf einer Konferenz formulierte: „Die eigentliche Fintech-Revolution kommt noch.“
Um valide zu prognostizieren, wohin diese Entwicklung führt und wer davon profitiert, sollte man die Träger und Treiber des Wandels identifizieren.
Revolutionstreiber: Unternehmen, Technologien, Regulierung, Kunden
Wir sehen vier unternehmerische Treiber am Werk: Die Banken und Fintechs als die bekannten Protagonisten, digitale Unternehmen und als deren Spezialfall die vier GAFAs. Google, Amazon, Facebook und Apple haben bereits gezeigt, dass sie Branchen revolutionieren oder neue schaffen können, um sie dann zu monopolisieren. Ihre einzigartige Stellung in Sachen Kundenreichweite, Kapitalausstattung und technologisches Know-how versetzt sie in die Lage, nahezu jede Branche ins Visier zu nehmen, wenn es ihnen strategisch opportun erscheint.
Technologische Treiber im Finanzsektor sind neben der Digitalisierung im Allgemeinen die Blockchain-Technologie, KI und der weitere Fortschritt der Computertechnik; in Zukunft vor allem getragen durch das Quantum Computing (zurzeit noch wenig beleuchtet).
In der hochregulierten Finanzbranche ist eben diese Regulierung einer der Haupttreiber oder auch Bremser der Fintech-Revolution. Innovationsregulierungen wie die PSD2 öffnen und normieren Geschäftschancen, „Bremsregulierungen“ wie die Mifid2 steigern die Komplexität, fressen Ressourcen und erhöhen die Eintrittsbarrieren für neue Player (was nicht komplett richtig ist, denn die wachsende Komplexität schafft für die Player, die sie digital überwinden können, wiederum neue Geschäftschancen).
Und letztendlich entscheidet der Kunde, ob es eine Fintech-Revolution gibt oder nicht. Das Kundenverhalten selbst ist jedoch kein Treiber im eigentlichen Sinne. Der Kunde ist gewissermaßen der Schiedsrichter, der die revolutionären Innovationen annimmt oder nicht; sie gehen aber nicht von ihm aus.
Banken von Treibern zu Getriebenen und zurück
Banken waren historisch frühe Pioniere der Digitalisierung. Sie haben als Erste IT intensiv genutzt, Online-Banking gab es schon vor dem E-Commerce. Banken sind sehr geübt darin, neue Technologien zu nutzen, um damit regulierte Prozesse zu managen. Sie widmen zurzeit sicherlich die größten Forschungsbudgets, um die Zukunftstechnologien KI und Blockchain für sich nutzbar zu machen. Diese regulativ-technische Kompetenz, verbunden mit dem Vertrauen und dem nicht schrumpfenden, enormen Kundenstamm, wird sie eine treibende, keine bremsende Rolle in der Fintech-Revolution spielen lassen.
Was aber nicht heißt, dass Banken, denen das regulativ-technologische Know-how fehlt oder die es nicht schaffen, ihre Geschäftsmodelle digital anzupassen, aus dem Markt verschwinden und umgekehrt große neue Player mit Banklizenz entstehen.
Fintechs – am Ende oder nicht?
Mit Blick auf Fintechs muss die Eingangsfrage eigentlich lauten: Für welche Fintechs ist die Fintech-Revolution vorbei? Vorbei ist sie für die reinen Frontend-Start-ups, die mit keiner oder nur minimaler Lizenz unterwegs sind, beispielsweise klassische 34f-Robo-Advisor, die wenig mehr als eine schöne Kundenschnittstelle zu bieten haben, ohne über eine proprietäre Technologie zu verfügen, die es erlaubt, einen einzigartigen Kundennutzen anzubieten.
Revolutionäre, treibende und erfolgreiche Fintechs werden die sein, die Plattform- Geschäftsmodelle wirklich verstehen und umsetzen können (zum Beispiel N26), die die großen Veränderungstechnologien Blockchain, KI oder Quantum Computing verstehen und denen es gelingt, damit proprietäre Technologielösungen zu entwickeln, die finanzielles Kundenverhalten ändern können.
Digitale Unternehmen kontextualisieren Fintech-Revolution
Die bisher am wenigsten beachteten, aber vielleicht unsichtbar-stärksten Treiber der Fintech-Revolution werden digitale oder digitalisierte Unternehmen sein, die Finanzprozesse in ihre Geschäftskontexte einbinden können. Sie haben wie Banken bereits viele Kunden und genießen deren Vertrauen. Sie eliminieren beispielsweise physische Points of Sales, indem sie Zahlungs- als Hintergrundprozesse implementieren (Einzelhandel, Gastronomie). Sie bieten Echtzeit-Kredite genau dann, wenn sie zum Kauf einer Reise, eines Auto oder Möbels benötigt werden und umgekehrt attraktive Spar- und Anlagemöglichkeiten, um die höherwertigen Güter oder Services später zu kaufen. Mit diesen Angeboten schieben sie sich tatsächlich als Frontend zwischen die Banken und den Kunden, was den Original-Fintechs bisher nicht flächendeckend gelungen ist.
GAFAs als partielle Fintechs
Die Rollen der GAFAs in der Fintech-Revolution sind bisher noch potenzielle; auch wenn alle bereits damit begonnen haben, Finanzfunktionen anzubieten. Klar ist, dass alle vier eine Bank aufziehen könnten, wenn sie das wollten. Um abzuschätzen, welche Rolle sie tatsächlich in der Fintech-Revolution spielen werden, sollte man sich anschauen, welche Finanzfunktionen nahe an ihrem primären Geschäftsmodell liegen.
Für Apple und Google liegt das Thema mobiles und im Weiteren auch Zahlen als Hintergrundprozess durch ihre Präsenz im Smartphone-Markt sehr nahe. Es ist davon auszugehen, dass sie hier eine starke Rolle spielen werden. Weitere Bankenfunktionen liegen jedenfalls nicht Geschäftsmodell-nah.
Facebook wird sicherlich immer mehr Peer-to-Peer-Payment-Funktionen anbieten, dies liegt in der Natur des Social Networks. Da Facebook bzw. WhatsApp auch als Kommunikationskanal zwischen Unternehmen und Kunden ausgebaut werden, liegt es nahe, auch Zahlungsfunktionen für Geschäftsbeziehungen zu integrieren.
Für Amazon liegt der direkte Angriff auf Banken am Geschäftsmodell-nähesten. Das Angebot von Zahlungsfunktionen, von Girokonten, von Krediten und sogar von Sparplänen, also die gesamte Bandbreite des Produktspektrums von Retailbanken, ist für ein großes E-Commerce- und Plattform-Unternehmen plausibel. Das Girokonto spart Kreditkartenkosten und liefert wertvolle Daten, Zahlungsfunktionen gehören ohnehin zu den Grundfunktionen von E-Commerce, mit Krediten können Amazon-Händler ihre Waren finanzieren, mit Sparplänen legen die Kunden das Geld für größere Anschaffungen bei Amazon zurück, eventuell mit besonders attraktiven Zinsen. Dies alles vor dem Hintergrund, dass Amazon genau diese Angebote jetzt schon am Start hat.
Technologie als Kerntreiber der Fintech-Revolution
Die Technologien KI und Blockchain werden die stärksten Treiber der Fintech-Revolution sein. Sie werden die Art und Weise, wie Kunden mit Finanzdienstleistern kommunizieren, wie Finanzdienstleister Werte für ihre Kunden produzieren, wie Finanzdienstleister ihre Prozesse managen, grundlegend verändern. Sie werden die Rolle von Organisationen und Menschen in dem, was wir heute Banking nennen, umschreiben. KI und Blockchain werden den Finanzsektor stärker verändern als Mobility und APIs dies bisher getan haben! Mobile Devices und APIs haben die Kunden- bzw. die Banking-Schnittstelle verlagert und dafür gesorgt, dass Banking sich aus den Banken heraus in die digitalen und analogen Lebens- und Geschäftskontexte verlagert hat. Sie haben aber nicht die Rolle der Akteure und die grundlegenden Prozesse des Bankings verändert. Blockchain und KI werden dies tun.
Um nur zwei Beispiele zu geben: KI wird fähig sein, mit Kunden natürlichsprachig zu kommunizieren und sehr weitgehende Finanz- und Vermögensberatung zu leisten. Bankmitarbeiter sind dann nur noch ein Convenience-Faktor für Kunden, die sich lieber mit einem Menschen unterhalten als mit einer Maschine. Initial Coin Offers (ICO) oder ähnliche Smart-Contract-Verfahren auf der Blockchain werden die Art und Weise ändern, wie sich Unternehmen mit Geld versorgen. Banken oder Börsen können nur über Regulierung wieder in die Prozesse hineindesignt werden.
ICOs sind nur die zurzeit prominenteste Anwendung für den dezentral beglaubigten Austausch von Werten, die die Blockchain möglich macht. Nahezu jeder Wert-transferierende Banking- oder Finanz-Prozess lässt sich Blockchain-isieren und damit prinzipiell entinstitutionalisieren, weil die Rolle der Institution die dezentrale Technik übernimmt.
Technologie wird auch deshalb der stärkste Treiber sein, weil die Entwicklung dort zurzeit exponentiell verläuft. Die KI hat inzwischen Fähigkeiten, von denen man geglaubt hat, dass sie noch Jahrzehnte von der Computerisierung entfernt sind. Mit einer grundlegend neuen Computertechnologie, dem Quantum Computing, die bereits am Horizont erscheint, ist davon auszugehen, dass die Entwicklung auch weiter exponentiell verläuft.
Regulierung als Innovationsbremse oder -beschleuniger
Regulierung kann die Fintech-Revolution ausbremsen oder beschleunigen, weniger schlagwortartig formuliert, Innovation fördern oder verhindern. Ob sich das Potenzial von KI und Blockchain entfaltet, wer mit diesen Technologien die Finanzindustrie mit welcher Lizenz revolutionieren darf, hängt entscheidend vom Regulator ab. Zumindest die europäischen Regulatoren scheinen innovationsfreundlich eingestellt, solange aus ihrer Sicht der Kundenschutz gewährleistet wird. So war die PSD2 ganz klar eine innovationsfördernde Regulierung, die Banken zur Zusammenarbeit mit Nicht-Banken zwingt. Wie der Einsatz von KI und Blockchain reguliert wird, bleibt abzuwarten (beim Thema ICOs greift der US-Regulator beispielsweise gerade wesentlich heftiger ein als die europäischen das tun).
Kundenverhalten ist kein Treiber der Fintech-Revolution
Ob es eine Fintech-Revolution gibt oder nicht, entscheidet, wie bereits erwähnt, am Ende der Kunde. Paradoxerweise ist er selbst kein Treiber der Fintech-Revolution. Er kann Innovationen fördern, indem er sie nutzt, bremsen, indem er sie nicht nutzt (so bremsen europäische Kunden Innovationen beim mobilen Zahlen, beim Robo-Advice oder bei Peer-to-Peer-Krediten durch Nicht-Nutzung).
In der Diskussion um die Treiber der Fintech-Revolution wird das Kundenverhalten oft überschätzt. Technologie verändert Kundenverhalten mindestens genauso wie Kundenverhalten neue Technologie fördert. In der Regel gibt es erst Technologie, die sich dann Anwendungen sucht, an die kein Kunde vorher gedacht hat. Kundenverhalten und Technologie sind in diesem Sinne „dialektische“ Antagonisten, die sich gegenseitig vorantreiben. Es gilt hier immer das berühmte Henry-Ford-Zitat „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie schnellere Pferde genannt“. Eddy Cue, Senior Vice President Internet Software & Service bei Apple, hat dies kürzlich auf der SXSW neu formuliert: „Wenn wir um die Ecke schauen wollen, können wir nicht die Kunden fragen.“
Was übrigens nicht heißt, dass Technologie, ist sie erst einmal da, nicht kundenzentriert weiterentwickelt werden muss, damit sie angenommen wird. Apple ist ein Meister darin, deutsche Unternehmen eher nicht (das ist die tiefere Ursache dafür, dass Deutschland einen technologisch weltweit führenden B2B-Mittelstand hat und die USA die weltweit führenden B2C-Tech-Giganten).
Die Fintech-Revolution ist im vollen Gange
Nur aus dem Umstand, dass für eine bestimmte Unterart der Fintech-Unternehmen die Fintech-Revolution vorbei ist, zu schließen, dass diese insgesamt vorbei ist, ist zu kurz geschlossen. Die entscheidenden technologischen Treiber der Revolution fangen gerade erst an, die Branche nachhaltig zu verändern. Und auch die unternehmerischen Treiber sind noch nicht alle voll in das Geschehen eingestiegen.
Man kann noch nicht vorhersehen, welche Unternehmen letztendlich als Sieger aus der Revolution hervorgehen. Aber es ist absehbar, welche Faktoren entscheidend für den Erfolg in der Umbruchphase sind. Gewinnen werden die Unternehmen, die Plattform-Geschäftsmodelle wirklich verstehen und umsetzen können, mit proprietärer, tiefer Technologie Kundenverhalten ändern (und diesem nicht nur hinterherjagen), die großen Veränderungstechnologien Blockchain und KI verstehen und anwenden können.
Das sind letztendlich die gleichen Faktoren, wie sie oben schon im Fintech-Unternehmen-Abschnitt aufgezählt werden, sie gelten aber für alle Akteure in der Fintech-Revolution. Im Vorteil sind zurzeit die Unternehmen, die bereits viele Kunden haben: Banken, digitale Unternehmen und die GAFAs. Junge Fintech-Unternehmen müssen diesen Rückstand durch kundenzentrierte Nutzung oder Entwicklung von Technologie wett machen. Dann können auch noch große, überraschende Welt-Fintechs entstehen. Vielleicht ist ja eine der gut finanzierten Challenger-Banken N26, Revolut oder Monzo schon auf dem Weg dahin. Zumindest haben sie sehr früh Plattform-Geschäftsmodelle verstanden und mit massiver Kundenakquisition das Henne-Ei-Problem für Plattformen gelöst – und die Kritiker, die bei N26 kein tragfähiges Geschäftsmodell gesehen haben, haben genau diesen Punkt nicht verstanden…