Cash oder Karte? Beim Hurricane-Festival hat (noch) der Kunde die Wahl

Caro Beese
Caro Beese

Ein Gastbeitrag von Inge Seibel

Samstagmorgen, Tag zwei des mittlerweile 21. Hurricane-Festivals in Scheeßel, einer kleinen niedersächsischen Gemeinde zwischen Hamburg und Bremen. Noch sind die Einlass-Schranken für die erwarteten 70.000 Festivalbesucher geschlossen. Um mich herum Felder, Schlamm, grauer Himmel und probende Bands auf der Blauen und Grünen Bühne. Ein unwirkliches, ein faszinierendes Szenarium.

Gastautorin Inge Seibel war für finletter beim Hurricane-Festival
Gastautorin Inge Seibel war für finletter auf Einladung von Mastercard beim Hurricane-Festival. Sie hat offiziell mit Fintech nichts am Hut, ist aber schon lange Bargeldlos-Fan.

Ich sitze mitten drin, regengeschützt im 1. Stock des Mastercard-Standes, einem der Hauptsponsoren des größten Rock- und Popfestivals im Norden, dem ich auch meine Einlasskarte zu verdanken habe, und warte gespannt auf den versprochenen Workshop zum Thema bargeldloses und kontaktloses Bezahlen. 2015 hat der Veranstalter FKP Scorpio es schon einmal versucht: mit dem RFID-Chip am Hurricane-Eintrittsbändchen, „der elektronischen Geldbörse, womit man im Handumdrehen bezahlt“. Das ging jedoch gehörig daneben. Beim Lolla-Palooza-Festivalauftakt 2015 in Berlin war der Chip ein Erfolg, in Scheeßel damals der Reinfall total. Wenig klappte, stattdessen lange Schlangen bei den Food-, Getränke- und Merchandising-Ständen – genau das, was man verhindern wollte – und ein lautstarker Shitstorm der genervten Besucher auf Facebook waren die Folge. 2016 ließ man die Finger davon.

2017 also nun ein neuer Versuch. Ohne Chipzwang, keine Bargeldverdammung. Vielmehr bekommt das bargeldlose Bezahlen via Plastikkärtchen beim Hurricane 2017 eine gleichberechtigte Chance. Nicht allein der Sponsor Mastercard, auch Visa und jede herkömmliche Debit- bzw. Girocard gehen an den Start. Aber Mastercard, die dritt-wertvollste Kreditkartenmarke weltweit, ist die treibende Kraft und dafür wurde kräftig im Vorfeld die Werbetrommel gerührt: Jedes so erworbene Getränk wird mit einem Euro Nachlass auf Kappe des Kartenunternehmens belohnt. Im Festival-Supermarkt bekommt man als Goodie einen Einkaufsgutschein im Wert von drei Euro für den nächsten Einkauf in die Hand gedrückt.

Unter Profis

Zurück zum Workshop: NFC, PSD2, EBA RTS, DSRP, EMV 3D secure – auf mich prasseln ohne Ende zu dem Zeitpunkt noch mehr oder weniger unbekannte Abkürzungen aus der Finanzwelt ein. Um mich herum ein gutes Dutzend Blogger und Kolleg*innen, denen die Begriffe alle heimisch zu sein scheinen. Macht nichts, denke ich mir selbstbewusst, kann ich ja googlen. Schließlich sehe ich mich durchaus als Karten-Profi, als heavy Userin des bargeldlosen Bezahlens sozusagen, bin ich doch seit knapp 30 Jahren stolze Besitzerin einer goldenen Plastikkarte und setze sie auch kräftig im In- und Ausland ein. Im Stillen macht sich dennoch bei mir Verwunderung über eine Parallelwelt breit: Der Konsument da draußen, spricht er nicht immer noch von seiner EC-Karte, wenn er die Girocard meint? Er ärgert sich über immer wieder neue Online-Transaktionsgebühren für den Einsatz seiner Kreditkarte gerade im Touristikbereich, wo doch die Interchange-Gebühren gesunken sind, und glaubt weiterhin, seinem Händler Gutes zu tun, wenn er die Kreditkarte auch mal stecken lässt. So do I…

Mittlerweile kommt David Klemm, seit März Vice President Business Development bei Mastercard Europe, zum Ende seines trotz allen Insider-Talks spannenden Vortrags über die Zukunft der Merchandiser- und Plastikkartenwelt. Punkte sammeln können soll man bald auch in Deutschland mit jeder registrierten Mastercard durch Einführung der Rewards-Plattform „Priceless-Specials“. Und dass das Unternehmen alle neuen Trends aktiv mitgestalten will, erzählt er.

Hinter den Kulissen

Dann übernimmt Marc Engelke, nicht nur Geschäftsführer beim FKP Eventservice, einem Tochterunternehmen des Hamburger Veranstalters, das sich unter anderem um die „Payment Solutions“ und „Food & Beverage“ auf dem Gelände kümmert, sondern auch einer der beiden Gründer und Mitgeschäftsführer des Deichbrand Festivals an der Nordsee bei Cuxhaven. Marc Engelke ist Anfang 30. Man merkt es gleich, wie er brennt für das, was er tut. Wenn er kein eigenverantwortliches Festival zu organisieren hat, dann reisen Engelke und seine Mitarbeiter zu Veranstaltungsorten in Europa und der ganzen Welt, um die besten und neuesten Cashless-Payment Lösungen vor Ort zu testen. Da ist noch viel Musik im Markt.

Marc Engelke (Foto: Inge Seibel)
Marc Engelke vor dem Mitarbeitereinsatzplan des Hurricane-Festivals (Foto: Inge Seibel)

Derzeit aber auch noch viel Bargeld. Zumindest beim Hurricane-Festival. „2,1 Tonnen Wechselgeld mussten allein für den Festival-Supermarkt angeliefert werden“, sagt er. Engelke will uns zum Staunen bringen angesichts der Dimensionen. Ich sehe schon Dagobert Duck in seinem Geldspeicher schwimmen, denn ich habe keine Vorstellung von dem Volumen und bin dann doch ein bisschen enttäuscht: „Das sind zwei bis drei Stahlboxen in der Größe einer halben Europalette, die einem etwa bis ans Knie gehen. Dem Containerboden eines LKW können die schon zu schaffen machen.“

Endlich nimmt uns Marc Engelke hinter die Kulissen des Festivals und erklärt, wie das mit den Payment Solutions samt Kartenabrechnung funktioniert und welcher logistische Aufwand dafür betrieben werden muss. Kartenabrechnung heißt auch Datenübertragung. Wir sind nicht in der Großstadt, wo die Infrastruktur einigermaßen stimmt. Wir sind mitten auf der Sandrennbahn in Scheeßel, wo bei 70.000 Musikfans samt Smartphone jede herkömmliche Internet- oder LTE-Verbindung zusammenbrechen muss. Highspeed-Internet via Glasfaser, heißt die Lösung.

4,5 Kilometer davon haben die Mitarbeiter vom FKP Eventservice ausschließlich für die Möglichkeit des Cashless-Bezahlens in den Äckern verbuddelt oder zwischen den Bäumen verlegt. Nach dem Festival muss alles wieder raus. Dann die Hard- und Software, die via Baukastensystem bei verschiedenen Anbietern angemietet wurde: 80 Kartenlesegeräte haben beim Unwetter am Donnerstag vor dem Start des Festivals bereits ihren Geist aufgegeben, in großen LKW lagert genügend Ersatz.

Beim Hurricane Festival (Foto: Inge Seibel)
Hier werden Mitwirkende auf das Kassensystem des diesjährigen Hurricane-Festivals geschult (Foto: Inge Seibel)

1.000 Mitarbeiter arbeiten im Hintergrund rund um die Getränkestände. Auch sie müssen verpflegt, in Schichten eingeteilt und unter anderem auf die 450 Kassentablets von Samsung mit via Bluetooth angeschlossenem Drucker und die stationären Kreditkartenterminals von Wirecard geschult werden. Auf großen Bildschirmen, ähnlich den Anzeigetafeln, lassen sich Einsatzort und -zeit der Mitarbeiter nachverfolgen. Das wirkt gigantisch, ich bin beeindruckt. Nun will ich das auch ausprobieren.

Der Selbstversuch

„Wie möchten Sie ihr Getränk bezahlen? Cash oder per Karte?“, werde ich gefragt. Karte natürlich! „Welche Karte soll es sein?“ Auch hier müssen die Mitarbeiter unterscheiden, denn beim Sponsor gibt es ja den Ein-Euro-Einsatz-Vorteil und auch das muss in der Softwarelösung des Kassensystems bewältigt werden. Ich möchte kontaktlos bezahlen und mache ein langes Gesicht: Die Karten meiner Bank spielen da noch nicht mit. Unbedingt kürzer dauert so der Bezahlprozess nicht – eines der Hauptargumente für die Cashless-Lösung. Aber lange Schlangen habe ich auch nicht gesichtet. Alles im Erträglichen. Nur Bares ist Wahres, heißt es allerdings, als ich mein Souvenir-T-Shirt und meinen Schokopfannkuchen begleichen will. Bei den meisten Merchandisern auf dem Festival ist die Kartenzahlung noch nicht angekommen. Woran liegt’s? Viele Händler haben offenbar keinen Vertrag mit den Kartenprovidern. Die Getränkesparte hingegen hat der Veranstalter im Griff. Man arbeitet daran, dass auch an den anderen Ständen im nächsten Jahr was mit Karte geht. Einige Besucher, die voll auf Cashless setzten, hat’s allerdings kalt erwischt. Einen Geldautomaten auf dem Gelände, um mit den Plastikkarten schnell mal Bares abzuheben, habe ich vergeblich gesucht.

Die Bilanz

80 Prozent Bargeld, 20 Prozent Cashless-Zahlungen; davon wiederum entfielen 70 Prozent auf den Sponsor Mastercard. „Das übertrifft um einiges unsere Erwartungen“, sagt mir Marc Engelke ein paar Tage später am Telefon. Aber dennoch glaubt er persönlich, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis auf den Festivals wirklich nur noch bargeldlos bezahlt wird. Andere Veranstalter setzen weiter voll auf „Closed loop“ und zwingen quasi ihre Besucher zum bargeldlosen Bezahlen. Für Engelke nicht der richtige Weg. Er hat noch kein geschlossenes Cashless-Bezahlsystem gesehen, das reibungslos funktioniert: „So lange die Stabilität von Mobilfunk- und Wireless-Netzwerken nicht gewährleistet ist, brauchen wir den möglichen Rückgriff auf das Bargeld.“

Inge Seibel beim Hurricane Festival 2017
Unsere Gastautorin Inge Seibel in Festivalmontur

Aber ohne Bargeld wäre schon ein Traum, auch für Engelke: „Das Bezahl-Handling für den Kunden wird einfacher und schneller, die Auswertung der Veranstaltung und Rückschlüsse für die Zukunft leichter und nicht zuletzt der Fiskus schneller befriedigt.“ Der wolle nämlich immer schneller einen manipulationssicheren Report für die ihm zustehenden Abgaben.